Markiert mit "LAPTOP"


Ins Internet wie 1989

Heute hat ja keiner mehr Geduld für irgendwas, also gibt's das Video gleich vorweg.
Neulich habe ich mal wieder meine alten Computer betüddelt. In diesem Fundus gibt es auch ein Hyundai Super-LT3-Laptop von 1989. Kurz zur geschichtlichen Einordnung für die jüngeren Leser: 1989 fiel die Berliner Mauer, der Kalte Krieg endete, Kohl war Bundeskanzler in Bonn, Taylor Swift wird geboren, Dali stirbt, Handys waren noch unbekannt, der erste Game Boy kommt auf den Markt, Musik hört man von Schallplatte oder Kassette, im Kino laufen Indiana Jones und Zurück in die Zukunft, die Simpsons feiern Prämiere im US-Fernsehen, die erste Loveparade findet in Berlin statt, man trägt Jeans in Karottenform, Jeansjacke und Polohemden oder Blousons mit Schulterpolster, dazu Dauerwelle oder Vokuhila mit Schnurrbart, der Computer Deep Thought gewinnt die Schachweltmeisterschaft, und das World Wide Web (www) mit verlinkten Webseiten wie wir es heute kennen wird als Anwendung für das Internet entwickelt, in dem es erstmals eine Million User gibt. Und der kleine Cypax geht noch zur Grundschule. Also alles schon gefühlt tausend Jahre her. Und trotzdem heute noch in einem ganz vorzüglichem Erhaltungszustand. - Der Laptop natürlich, nicht ich 😆 Außer etwas Staubwischen war hier daher nicht viel Betüddelung notwendig.
Hyundai Super-LT3 Laptop
Hyundai Super-LT3 - ein 80286er Laptop mit 10 MHz, 1 MB RAM, Windows 2.03
Da er aber nun so schön erhalten ist, habe ich mich gefragt, was man anno dato mit einem über 30 Jahre altem Laptop noch anfangen könnte. Spieleklassiker machen auf dem Display nicht wirklich Spaß. Reiner Text liest sich jedoch ganz passabel und die Tastatur ist grandios. Sollte ich mal ein Buch schreiben, dann damit. Quasi als bessere Schreibmaschine. Und sollte es vielleicht sogar möglich sein mit der alten Kiste ins Internet zu gehen? WLAN hat das Teil natürlich nicht, das gab's erst viel später. Auf der Rückseite hat der Super-LT3 aber einen Druckerport und eine serielle RS232-Schnittstelle. Mit Letzterer ließe sich was anfangen. Die erste Idee war, einen Raspberry Pi an die RS232 zu stöpseln, welcher von da eine URL entgegen nimmt und HTML zurückliefert. Am besten schon in ein handliches Format vorverdaut, denn die Rechenpower eines 286er ist natürlich nicht ausgelegt, den ganzen Daten-Bloat moderner Webseiten in endlicher Zeit verarbeiten zu können. Es stellte sich dann aber schnell heraus, dass der Wunsch mit betagten Kisten im Web zu surfen, alles andere als neu oder ungelöst ist. Das Konzept ist dabei ganz ähnlich: ein ESP8266 fungiert als Gateway ins WLAN/Internet und wird über RS232 angeschlossen. Und zum Browsen unter DOS gibt es auch bereits eine ganze Fülle von Programmen.
Eine Webseite wird auf dem Super-LT3 angezeigt
Im Netz mit dem 286er
Gut, dass ich noch einen arbeitslosen ESP herumliegen hatte, der flugs zum Gateway programmiert wurde. Der Flaschenhals bei der ganzen Sache ist freilich die Baudrate der seriellen Schnittstelle. Aber der Super-LT3 schafft tatsächlich 38400 Baud und damit lässt sich halbwegs leben. Funktionieren kann das allerdings auch nur, indem ein Service (frogfind.com) Webseiten auf pures, einfaches HTML herunterbricht. Nicht bei jeder Seite funktioniert das immer nach Plan, aber als durchaus angenehmer Nebeneffekt wird dabei zugleich meist auch der ganze Werbungs-, Cookie- und Popup/Overlay-Ranz weggefiltert. Unter Umständen lädt mein 286er so eine Webseite letztlich schneller als mein i7-Desktoprechner 😎
Nun hat mich allerdings gestört, dass an der Rückseite des Super-LT3 der ESP am RS232-Port baumelt und obendrein auch noch separat mit 5V versorgt werden will. Das hat sowohl optisch wie technisch reichlich Verbesserungspotential. Im Gehäuse des Laptops war inzwischen einiges an Platz frei geworden, da ich die krachdosige 3.5-Zoll-Festplatte (20 MB) durch eine lautlose SD-Karte ersetzt habe (128 MB). Somit war klar, dass der ESP nach Innen umziehen soll.
Ein Schiebeschalter auf der Rückseite des Hyundai Super-LT3 zum umschalten zwischen interner und externer Belegung des RS232-Ports
Umschalter für interne und externe RS232-Verwendung
Eventuell aber will man ja doch die RS232 mal für etwas anderes nutzen. Also habe ich einen furchtbaren Frevel begangen und habe in die vorzüglich erhaltene Rückseite des Laptops ein Loch gefräst und einen Schalter eingebaut um zwischen externer und interner RS232-Verwendung umschalten zu können. Ja, das ist eine beispiellose Schandtat an historischer Substanz. Aber immerhin habe ich es handwerklich gut gemacht und es sieht jetzt rein äußerlich so aus, als ob das schon 1989 so war 😉 Und den ESP und die SD-Karte sieht man von außen eh nicht - über die freut man sich nur weil's schnell und leise ist...
Der ESP8266 im Gehäuse des Super-LT3 neben der SD-Karten-Festplatte
ESP8266 und SD-Karten-Festplatte im Gehäuse eingebaut
So. Nun kann ich sinnlos aber stilecht im Web surfen und so tun als wäre 1989. Interessant finde aber ich die Frage, wie sicher mein DOS-Rechner dabei vor Malware ist. Viele aktuell gängige Attacken dürften bereits an den technischen Limitierungen dieses Systems scheitern. JavaScript/Ajax, Flash & Co. funktionieren schon mal gar nicht. Für Drive-by-Download müsste man also schon gezielt eine Schwachstelle des DOS-Browsers ausnutzen. Das ist - angesichts der Exotik dieses Setups - recht unwahrscheinlich und für Angreifer absolut nicht lohnend. Ich müsste mir also schon eine boshafte exe oder com herunterladen und ausführen. Ob deren Code dann auf dem 16Bit-System überhaupt lebensfähig wäre, steht auf einem anderen Blatt. Die Vorstellung, auf dem 286er Ransomware auszuführen um meine SD-Karten-Festplatte zu verschlüsseln oder mit 10 MHz heimlich Bitcoins für fremde Konten zu schürfen, klingt jedenfalls drollig 😄